Wie kann ich was bewegen?

Wie kann ich was bewegen?

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Transkript Podcast “Wie kann ich was bewegen?” Staffel 4, Folge 8, “Wie kann ich was bewegen – bei der Tafel?”.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: "Wie kann ich was bewegen?" ist ein Podcast über deinen Weg ins politische Engagement und deine Überzeugung. Heute erkunde ich eine andere Möglichkeit, aktiv zu werden, für eine Sache einzutreten und sich zu beteiligen. Mein Name ist Raul Krauthausen und ich bin Inklusionsaktivist.

Raul Krauthausen:

Heute frage ich: Wie kann ich was bewegen bei der Tafel? In dieser Episode widmen wir uns einem Thema, das uns alle angeht, aber oft im Schatten des Alltags verborgen bleibt: die Armut in Deutschland und die Rolle der Tafeln als lebenswichtige Brücke und politisches Statement. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Institutionen wie die Tafeln notwendig sind? Und wie prägt die freiwillige Arbeit bei der Tafel nicht nur diejenigen, die Hilfe erhalten? Ja, und nicht zuletzt, wie kannst du die Arbeit der Tafeln unterstützen?

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Mein Name ist Sirkka Jendis, ich bin seit knapp zweieinhalb Jahren Geschäftsführerin von Tafel Deutschland. Aufgrund meiner Tätigkeiten davor, glaube ich, habe ich eine starke Neigung entwickelt, im Bereich der Geographie zu arbeiten. Das ist etwas, das ich ganz persönlich mit meiner Arbeit erreichen möchte. An den Tafeln fasziniert mich die Menge an ehrenamtlichen Menschen, die da jeden Tag mit Herzblut und zum Teil auch wirklich körperlich schwere Arbeit verrichten. Diese genial einfache, niedrigschwellige Idee finde ich besonders zugänglich. Es ist vielleicht oft einfacher für Menschen, bei uns Hilfe zu suchen, und es ist auch einfacher, uns zu helfen, weil wir, wie ich glaube, einen extrem einfachen Zugang bieten, sowohl für die Unterstützung als auch für diejenigen, die unterstützen möchten. Und das finde ich besonders faszinierend. Deshalb wollte ich gerne ein Teil der Tafeln sein.

Raul Krauthausen:

In Deutschland, einem Land, das weltweit für seinen Reichtum und sein soziales Sicherheitsnetz bekannt ist, leben dennoch Millionen Menschen an oder unterhalb der Armutsgrenze. Die Gründe hierfür sind vielfältig und komplex – von unzureichenden Sozialleistungen über prekäre Arbeitsverhältnisse bis hin zu strukturellen Problemen im Bildungs- und Gesundheitswesen. Diese Situation wirft wichtige Fragen auf: Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt so viele Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen sind? Und was sagt das über die Effektivität unserer Sicherungssysteme aus? Die Tafel steht inmitten dieses Spannungsfelds, das ursprünglich als pragmatische Lösung zur Verteilung überschüssiger Lebensmittel an Bedürftige gedacht war, sich zu einem sozialen Problem entwickelt hat, das die Defizite unserer Gesellschaft aufzeigt.

Sirkka Jendis:

Wenn wir davon ausgehen, dass wir etwas mehr als 14 Millionen armutsbetroffene Menschen in Deutschland haben, dann kommen lange nicht alle, die berechtigt sind; für uns ist das ein schwieriges Wort, weil wir einfach den Menschen helfen wollen, die kommen. Also ungefähr 1,6 bis 2 Millionen Menschen zählen zu den Tafeln, natürlich die armutsbetroffenen Risikogruppen. Stichwort: Rentnerinnen, Stichwort Alleinerziehende, in der Regel alleinerziehende Mütter, Stichwort Familien mit vielen Kindern und Stichwort Menschen mit Migrationsgeschichte. Das sind, wie man ja auch weiß, laut Armutsbericht die am meisten gefährdeten Gruppen. Und die sind natürlich bei uns auch überproportional vertreten. Wir haben für uns das Menschenbild, dass wir sagen, und das höre ich so auch von allen Tafeln, mit denen ich spreche, dass wir keinen Menschen wegschicken, sondern einfach davon ausgehen, wer kommt, der braucht es auch. In der Regel funktioniert das ganz praktisch so, dass man in irgendeiner Form eine Berechtigung vorzeigt, sei es als Bürgergeldempfänger, Wohngeldbezieher, Grundsicherungsempfänger oder sehr niedrigen Rentenbescheid etc. Also dass es einen Nachweis dafür gibt, dass man armutsbetroffen ist und ja auch registriert wird und dann zu den Tafelkunden gehört und dann sich regelmäßig Lebensmittel abholen kann.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Tafeln sind ursprünglich ja aus der Idee heraus gegründet worden, einen Ausgleich zwischen Überfluss und Mangel zu schaffen. Also die genial einfache Idee, Lebensmittel zu sammeln, die sonst weggeschmissen werden würden, und diese an Menschen, die es brauchen, als Unterstützung im Alltag, also an armutsbetroffene Menschen zu verteilen.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Das war die Grundidee. Die gibt es auch immer noch, die wird auch so natürlich praktiziert. Und trotzdem merken wir als Tafeln, dass wir zunehmend notwendig sind, dass wir eine nicht mehr wegzudenkende Unterstützung für diese Menschen sind, weil die Armut doch sehr groß ist.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Und das bedeutet, dass wir, mit dieser immensen Bedeutung, die wir für die Menschen haben, geht natürlich auch einher, dass sich die Politik nicht ausreichend um die Armutsbekämpfung und eine Vermeidung von Armut kümmert und es nicht schafft. Denn die Politik muss dafür sorgen, die Versorgung von armutsbetroffenen Menschen zu übernehmen. Wir können nur unterstützen.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Wir sind eine ehrenamtliche, freiwillige Organisation, die dies mit viel Herzblut tut. Aber wir sind nicht Teil des Sozialsystems. Und das ist schon etwas, was wir merken. Was in den letzten zwei Jahren nach Corona und auch mit dem Ukraine-Krieg und vielen Geflüchteten eine Verschiebung zum Teil stattfindet, die wir nicht gutheißen.

Raul Krauthausen:

Nie zuvor lebten so viele Menschen in Deutschland am Existenzminimum; heute mehr als 13 Millionen Menschen. Und wenn alles teurer wird in Zeiten der Inflation, steigen diese Zahlen in Deutschland rasant. Wer armutsbetroffen ist, weiß bereits Mitte des Monats nicht mehr, wie er oder sie über die Runden kommen soll. Es geht um die Grundlagen des Lebens: Essen, Energiekosten, Wohnung und immer die Angst, wie es weitergeht.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: Die Tafeln sind ein Symptom für tieferliegende soziale und wirtschaftliche Probleme. Ein lebendiger Beweis dafür, dass das vorhandene soziale Netz nicht ausreicht, um alle Menschen vor Armut zu schützen. Wir würden, glaube ich, ablehnen, Teil des Sozialsystems zu sein. Wir sind nicht als Teil des Sozialsystems zu sehen, sondern als eine zugegebenermaßen sehr große Ehrenamtsorganisation, die Menschen unterstützt. Das tun aber auch viele andere soziale Organisationen, mit Themen, die genauso wichtig sind, die wir nicht abdecken, wie Wohnen oder Obdachlosigkeit etc.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: Die Tafel ist auch eine Geschichte des positiven Engagements. Freiwillige in ganz Deutschland spenden ihre Zeit und Energie, um anderen zu helfen. Wir haben ja den großen Vorteil, dass wir wirklich über ganz Deutschland ein sehr breites Netz an örtlichen Tafeln haben. Zurzeit 975 Tafeln, also fast 1000. Dieses freiwillige Engagement ist mehr als nur ein Akt der Nächstenliebe, es ist auch ein persönliches Statement, ein Ausdruck des Nicht-Einverstandenseins mit der aktuellen sozialen Ungerechtigkeit.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: Die Arbeit der Freiwilligen bei der Tafel zeigt, dass Solidarität und Engagement einen Unterschied machen können. Durch ihre direkte Hilfe, aber auch durch das Aufmerksammachen auf das Problem der Lebensmittelverschwendung und die Notwendigkeit einer gerechteren Gesellschaft. Sie sind Botschafter für eine bessere Welt. Doch die Freiwilligen selbst sagen oft, dass sie durch ihre Arbeit bei der Tafel auch selbst beschenkt werden – mit neuen Perspektiven, mit Dankbarkeit und mit dem Gefühl, Teil einer größeren Bewegung zu sein.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Der einfachste Weg, uns zu unterstützen, ist auf unserer Website nachzuschauen. Dort haben wir eine Deutschlandkarte, auf der du nach deiner Postleitzahl suchen kannst. Am einfachsten ist es, deine lokale Tafel zu finden und zu sehen, wann sie geöffnet hat. Viele unserer Tafeln haben eigene Websites, wo du weitere Informationen finden kannst.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Du findest einen Ansprechpartner und kannst einfach vor Ort vorbeischauen. Viele Menschen wissen nicht, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, sich zu engagieren. Es ist für uns einfacher, wenn Freiwillige regelmäßige Zeitfenster haben, aber es gibt viele andere Wege, wie man helfen kann. Beispielsweise werden Fahrer, die einmal pro Woche für etwa vier Stunden fahren können, immer gesucht.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Du kannst dich auch für verschiedene Gremien oder Ämter interessieren, die mehr Zeit und Engagement erfordern. Wir verstehen auch, dass sich jüngere Menschen vielleicht nicht langfristig binden wollen, sondern flexiblere Engagements suchen. Deshalb haben wir spezielle Angebote wie die Tafel Jugend, die sich an jüngere Freiwillige richtet und eigene Initiativen und Websites hat.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Bei der Tafel gibt es viele verschiedene Tätigkeiten. Einige Freiwillige sammeln Lebensmittel, andere sortieren sie oder helfen bei der Ausgabe. Manche Tafeln haben auch Tafelläden oder geben vorbereitete Tüten aus. Große Tafeln verteilen Lebensmittel sogar weiter an kleinere Tafeln im Umkreis. Diese Vielfalt an Aufgaben bietet jedem die Möglichkeit, sich einzubringen.

Sirkka Jendis:

Sirkka Jendis: Unsere Freiwilligen kommen aus allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen. Viele sind Rentner, die der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen. Andere sind Menschen, die selbst als Kunden zu uns kamen und dann beschlossen haben, ebenfalls zu helfen. Das zeigt, dass jeder einen Beitrag leisten kann, unabhängig von seiner persönlichen Situation.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: Vielen Dank, Sirkka, für diese Einblicke. Es zeigt, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, sich bei der Tafel zu engagieren. Wir hoffen, dass diese Episode dir geholfen hat, besser zu verstehen, wie du einen Unterschied machen kannst. Besuche unsere Website für mehr Informationen und um direkt Kontakt aufzunehmen. Engagiere dich und sei Teil der Lösung.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: "Wie kann ich was bewegen?" ist eine Produktion der PAP GmbH für digitales Handeln. Höre auch in die ersten Staffeln dieses Podcasts rein, wo du erfahren kannst, wie Personen wie Louisa Neubauer, Carola Rackete, Katja Diehl oder Waldemar Zeiler etwas bewegen.

Raul Krauthausen:

Raul Krauthausen: Besuche auch unsere Buchveröffentlichung „Wie kann ich was bewegen? Die Kraft des konstruktiven Aktivismus“. Mein Koautor Benjamin Schwarz und ich haben mit 16 der bekanntesten Aktivistinnen und Aktivisten Deutschlands gesprochen, um dir zu zeigen, wie du selbst etwas bewegen kannst. Erhältlich überall, wo es Bücher gibt.

Raul Krauthausen:

Denke immer daran: Veränderung ist möglich. Alles, was du tun musst, ist anzufangen. Lasst uns etwas bewegen. Bis bald.

Über diesen Podcast

Wie kann ich was bewegen? Dein Weg in das politische Engagement mit Raul Krauthausen.

Du möchtest dich für einen guten Zweck engagieren, aber stehst vor der Frage, wo, und vor allem wie? In diesem Podcast stellt Raul Krauthausen in jeder Folge eine konkrete Initiative vor und zeigt dir mögliche erste Wege des politischen Engagements. Welche Menschen, Organisationen, Initiativen und Gruppen passen zu dir? Wie kannst du dort etwas bewegen? Finde es gemeinsam mit Raul Krauthausen heraus!

"Wie kann ich was bewegen?" ist eine Produktion von der part GmbH für digitales Handeln.

von und mit Raul Krauthausen, part GmbH für digitales Handeln

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